Brasilien nähert sich dem Faschismus – Beobachtungen einer deutschen Studentin in Rio de Janeiro

Diese Stimmung des „Vorfaschismus“, wie es mein Dozent ausdrückte, habe ich noch nie erlebt. Es ist beängstigend.

In Rios Einkaufsmeile Urugaiana verkaufen unzählige kleine Geschäfte grün-gelbe Bolsonaro-Fahnen und T-Shirts. An nicht wenigen Haustüren in der Straße um die Ecke kleben Sticker, die den Militäranhänger mit einem breiten, gewinnenden Grinsen zeigen. Die brasilianische Flagge, deren Farben ich einst so schön fand, ist inzwischen zum Symbol für Rechtsextremismus und Nationalismus geworden. Sie repräsentiert jedoch mehr als das: Hass gegen das vermeintliche Establishment und all diese “Fake News”. Hass gegen korrupte Politiker*innen, gegen „die da oben“, gegen Schwule und Lesben, gegen Schwarze, gegen Frauen, die nicht wissen, wo ihr Platz ist. Gegen diese Verbrecher*innen aus den Favelas.

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T-Shirts der Bolsonaro-Unterstützer*innen im Einkaufsviertel Urugaiana, Rio de Janeiro.

20181018_132706Vor allem aber repräsentiert sie den Hass gegen die brasilianische Linke, mit ihren Anhänger*innen der Arbeiterpartei PT und den Hass gegen alle, die es wagen, nicht Pro-Bolsonaro zu sein.

Diesen Hass spürt man in den Straßen. Man liest und hört von Übergriffen. Eine Internetseite veröffentlicht Beiträge darüber. So schreibt eine Frau, ein Polizist habe versucht, sie vom Wählen abzuhalten, als er ihren „#elenão“ (#ernicht)-Sticker sah. Inzwischen hört man auch von körperlichen Angriffen. Bolsonaro will Polizist*innen auszeichnen, die in Favelas Verbrecher*innen töten. Wer Schwarz ist und in einer Favela lebt, hat schon verloren.

Ich sorge mich um viele meiner Freund*innen und Bekannte. Die meisten sagen, wenn er gewinnt, wandern sie aus. Andere sagen, auch wenn Haddad von der PT gewinnt, wird es kein gutes Ende geben. Die Linke habe nicht mehr genug Zustimmung, wir müssten uns auf einen weiteren Putsch vorbereiten. So sieht es Bolsonaro ja auch selbst: Er werde schließlich kein anderes Ergebnis als seinen Wahlsieg akzeptieren, erklärte er. Gibt es deutlichere Worte, um eine Diktatur anzukündigen?

Mir als Deutsche kommt vieles davon bekannt vor, aus Geschichtsunterricht und Erzählungen meiner Großeltern-Generation. Die brasilianische Rechte antwortet auf das Argument mit einer These, die einen fast zum Lachen bringen könnte, wäre die Situation nicht so ernst: Der deutsche Nationalsozialismus sei in Wahrheit linksextrem gewesen.

Dennoch ist etwas offensichtlich anders als damals: Soziale Medien spielen eine enorm wichtige Rolle. Dank Trump-Berater und Breitbart-Chef Steve Bannon konnte Bolsonaro beste Vorarbeit leisten. Kaum ein*e Bekannte*r, die oder der befreit ist von rechter WhatsApp-Propaganda. Da wird gewarnt vor der gefährlichen linken Arbeiterpartei, die Brasilien zu einem zweiten Venezuela machen will. Da wird erklärt, dass die einzige Lösung die Führung des Landes unter Jair Messias Bolsonaro ist. Ich erinnere mich daran, dass ich einmal meine vorgeschlagenen Facebook-Gruppen kontrollierte und es fast ausschließlich solche waren, die dem brasilianischen rechtsextremen Spektrum zuzuordnen sind – trotz meiner Gruppen- und Freundesliste, die mehrheitlich dem linken Spektrum angehört. Die Gruppenvorschläge wurden zwar inzwischen aktualisiert, doch private WhatsApp-Nachrichten mit Falschinformationen und politischer Propaganda lassen sich nicht so leicht kontrollieren. Für viele ist es einfacher, ein paar simplen Phrasen Glauben zu schenken, als sich kritisch mit den Parolen auseinanderzusetzen.

Doch in großen Kreisen der brasilianischen Bevölkerung fehlt eben genau das: Eine kritische Auseinandersetzung. Mit Bolsonaro, mit seiner Zustimmung zu anti-demokratischen Verhältnissen und vor allem eine intensive Auseinandersetzung mit der 21-jährigen Geschichte der Militärdiktatur. Ein Thema, das bis heute bestenfalls ansatzweise in Schulen, Universitäten und Medien besprochen wird.

Vermutlich ist das auch einer der Gründe dafür, dass viele nostalgisch in die sechziger bisachtziger Jahre zurückblicken. Bolsonaro werde ihnen schon die vermeintlich gute, alte Zeit zurückbringen.

Es scheint ausweglos. Noch vor dem ersten Wahlgang war die allgemeine Überzeugung unter meinen Bekannten, dass er niemals ernsthaft als Präsident in Betracht käme, es bestenfalls gerade so in die zweite Runde schaffen würde. Viele hatten selbst das als absurd abgetan, trotz dem widersprechender Umfragen. Doch mit 46% und mit der Möglichkeit, dass er es schon in der ersten Runde schaffen könnte, damit hatte niemand gerechnet. Inzwischen jedoch habe ich das Gefühl, die Angst vor seinem Sieg hat selbst die überzeugtesten PT-Anhänger*innen überfallen.

Glücklicherweise gibt sich die Linke nicht ohne Weiteres geschlagen. Tausende Menschen waren wie ich anwesend auf der #elenão-Demonstration in Rios Zentrum, dagegen war die zeitgleiche Pro-Bolsonaro-Bewegung im reichen Stadtteil Copacabana ein Witz. Auch wenn das noch vor der ersten Wahl war, so scheint es, als hätte das Wahlergebnis zu einer jetzt-erst-recht-Stimmung angeheizt. Hunderte Studierende meiner Uni trafen sich zu einem „Was bedeutet Faschismus“-Plenum und diskutierten Aktionen für die nächsten Tage, bis zur endgültigen Entscheidung am 28. Oktober. Ein Student warnte davor, alle Bolsonaro-Anhänger*innen pauschal als Faschist*innen abzutun und schlug vor, stattdessen zu versuchen, mit ihnen zu kommunizieren. Eine Geschichtsdozentin erklärte, dass sie und ihre Kolleg*innen selbstverständlich aufseiten der Studierenden seien und gerne Material und Lesestoff liefern würden. Fast überkam mich eine Welle der Hoffnung.

Doch sobald ich mich aus meiner trostschenkenden Uni-Blase entferne, merke ich, dass die Realität in Rios Straßen eine andere ist. Urugaiana liegt direkt neben meiner Universität. Da trifft rot auf grün-gelb. Ich frage mich, wie lange das noch der Fall sein wird.

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